Der Unsinn von der Energiebilanz – Teil I

In der gängigen Ernährungslehre, und vor allem beim Wunsch nach Abnehmen, steht das Zählen von Kalorien seit den 70er Jahren im Mittelpunkt. Damals wurde der Wissenschaft die rasante Zunahme von Körpergewicht bewusst. Erstmals machte man sich Gedanken, wie dieser Entwicklung entgegengesteuert werden könnte.

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Mit Aktionen wie dem „Trimm-Dich-Pfaden“ sollte der Bevölkerung ein Lebensstil, in dem mehr Kalorien verbraucht werden, schmackhaft gemacht werden. Zuviel Nahrung, bei gleichzeitig zu wenig Bewegung, war die Botschaft. Die „Kalorie“ als definierte Energieeinheit für ein Lebensmittel wurde bekannt. Dabei wird selbst in Universitäten und anderen Lehreinrichtungen die Philosophie der negativen Energiebilanz heute noch unterrichtet. Um abnehmen zu können, müssen einfach mehr Kalorien verbraucht als dem Organismus zugeführt werden, lautet die Botschaft. Ist diese Methode jedoch wirklich geeignet? Werfen wir zur genaueren Definition einer Kalorie einen Blick in Wikipedia. Hier wird die Kalorie¹ folgendermaßen beschrieben:

„Kalorie“ bezieht sich jeweils auf die Erwärmung von einem Gramm Wasser um ein Grad Celsius. Unter Physiologischer Brennwert² wird bei Wikipedia weiter beschrieben: Schon wegen der genannten Ungenauigkeiten ist umstritten, inwieweit der physiologische Brennwert überhaupt Aussagekraft bezieht, etwa für Diäten. Die Kritik in Kurzfassung: Schon der physikalische Brennwert für ein bestimmtes Lebensmittel fällt im Einzelfall höchst unterschiedlich aus, je nach Anbaubedingungen, Verarbeitung etc. Die nach dem Verzehr über die Verdauung ausgeschiedenen Anteile sind nur geschätzt und variieren stark von Person zu Person. Der Rest wird im Körper nicht verbrannt, sondern auf vielfältigste Weise (oft unter Energiefreigabe) abgebaut und umgekehrt (unter Energieeinsatz) wieder neu zusammengesetzt, teils auch mit dem Urin ausgeschieden. Erhebliche Teile der Nahrung werden überhaupt nicht energetisch verwertet, sondern als Baustein im Körper verwendet. Alles zusammengenommen sei, so die Kritik, ein für jedermann gültiger, auch nur halbwegs plausibler physiologischer Brennwert (Kilokalorien) überhaupt nicht wissenschaftlich herbeiführbar. Erst recht ließen die gängigen, oft genug von Quelle zu Quelle stark abweichenden Zahlen keine Aussagen über den Fettstoffwechsel zu. Zudem sei auch der Energieverbrauch eines Menschen, etwa für bestimmte körperliche Tätigkeiten, von Fall zu Fall höchst unterschiedlich. Insgesamt sei jegliches Kalorienrechnen mehr Quacksalberei bzw. Geschäftemacherei denn seriöse Wissenschaft.

Da stellt sich nun die Frage, wieso das Zählen von Kalorien, Kalorienrechner und –Tabellen dermaßen im Mittelpunkt steht, wenn die Arbeit damit jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt. Aus unserer Sicht würden wir heute sagen: „Unwissenheit“. Der Markt mit Ernährung und Abnehmen ist ein Megamilliarden-Geschäft. Um diesen wirkungsvoll betreiben zu können, braucht man einfache, leicht verständliche Hilfsmittel. Da kommt die Theorie der Energiebilanz gerade recht. Diese ist nun mal am einfachsten in Form von Tabellen und leicht verständlichen Zahlen zu vermitteln. Als wenn der Mensch nach einer mathematischen Formel funktionieren würde. Da nimmt man gern in Kauf, dass diese Aussagen unsinnig sind und blendet die Komplexitität des menschlichen Organismus aus, wenn sich dadurch das eigene Produkt leichter verkaufen lässt. In der Praxis ist gut zu beobachten, was in den letzten 50 Jahren das Kalorienzählen in unserer Gesellschaft verursachte. Jedoch sind heute noch viele Abnehmprogramme und Diäten auf dieser Philosophie aufgebaut.

Nun ist, wie fast immer im Leben, auch ein Körnchen Wahrheit darin verborgen.

Wenn zu viel gegessen wird und damit meist auch ein Zuviel an Kalorien aufgenommen, nimmt man zu und baut Fettpölsterchen auf. Das kann jeder am eigenen Leib testen. Wird allerdings wenig gegessen und werden weniger Kalorien zugeführt, als der Körper scheinbar zur Energiegewinnung benötigt, nimmt man noch lange nicht ab. Selbst wenn nach einiger Zeit die Waage weniger Gewicht zeigt, heißt dies noch lange nicht, dass tatsächlich im Körper eingelagertes Fett, sogenanntes Depotfett, verringert wurde. Was passiert stattdessen? Der Organismus passt sich im Verbrauch einfach der zugeführten Nahrung an. Häufig werden deshalb nur Wasser und Muskulatur reduziert. Bei weniger Substanz kommt der Körper auch mit weniger Nahrung klar. Zu spüren ist dies, indem man an Antrieb für die täglichen Aufgaben einbüßt, leichter friert und die Stimmungslage gereizter wird. Der Organismus kann die Stoffwechselleistung einfach senken. Wenn weniger Nahrung kommt, wird einfach weniger verbraucht. Irgendwann gibt man klein bei und freut sich auf ein vernünftiges Mahl. Schon sind die scheinbar verloren geglaubten Pfunde wieder da. Was bleibt, ist Frust! Warum? Weil der Organismus nicht auf den Energieverbrauch aus den Fettdepots umgeschaltet hatte.

Bei unseren Stoffwechselmessungen haben wir häufig bei Klienten einen Kalorienumsatz von beispielsweise 2000 Kalorien in Ruhe etwa zwei Stunden nach dem Frühstück gemessen. Nachdem derjenige über den Tag nichts mehr an Nahrung zu sich nahm, fiel der Kalorienbedarf gegen Abend auf etwa 1200 Kalorien ab. Dies lässt sich über den Flow des Atems, einer Zusammensetzung von Atemzügen pro Minute, Atemdruck und des Atemvolumens messen. Wenn der Organismus den Verbrauch so schnell reduziert, wird klar, dass ein weniger an Nahrung nur sehr bedingt tauglich ist für den Abnehmprozess. Es wird unterschätzt, wie variabel der Körper auf die Menge der zugeführten Nahrung reagiert. Der Organismus bewahrt lieber die Fettreserven und verringert Substanzen wie etwa die Muskulatur, um lange einer etwaigen Notlage trotzen zu können. Dieser jahrtausende alte Überlebenscode hat die Menschheit durch viele Hungerkatastrophen geführt. Kalorienreduzierte Ernährung führt nach unseren Untersuchungen nicht unbedingt zur Energiegewinnung aus den Fettdepots und kann sogar bei längerer Dauer die Stoffwechselfunktion stören.

China Study

Thomas M. CampbellI und T.Colin Campbell haben umfangreiche Studien zum Thema Ernährung und Stoffwechsel durchgeführt und in dem Buch China Study, in dem Kapitel „Die China Study hat ein gewichtiges Wort mitzureden“, schreiben sie:

Was die Gewichtsabnahme angeht, gibt es einige überraschende Ergebnisse aus der China Study, die Aufschluss über die Schlankheitsdebatte gibt. Als wir mit der China Study begannen, dachte ich, dass China das gegenteilige Problem hätte wie die USA. Ich hatte gehört, dass China sich nicht selbst ernähren könnte, dass es für Hungersnöte anfällig wäre, und dass es nicht genug Essen gäbe, sodass die Menschen ihre volle Körpergröße nicht erreichen könnten. Es würde ganz einfach nicht genügend Kalorien für alle geben. Obgleich China in den letzten 50 Jahren sehr wohl Ernährungsprobleme hatte, stellte sich schon bald heraus, dass diese Vorstellungen über die Kalorienaufnahme völlig falsch waren.

Wir wollten den Kalorienkonsum in China und Amerika vergleichen, doch da war ein Haken: Chinesen sind körperlich viel aktiver als Amerikaner, besonders in ländlichen Regionen, wo körperliche Arbeit die Regel darstellt. Einen überaus aktiven Arbeiter mit einem durchschnittlichen Amerikaner zu vergleichen, würde zu irreführenden Ergebnissen führen. Es wäre wie der Vergleich zwischen der aufgenommenen Energiemenge eines körperlich hart arbeitenden Menschen und der aufgenommenen Energiemenge eines Buchhalters. Der enorme Unterschied in der Kalorienaufnahme, der sicherlich zwischen den beiden Personen besteht, würde nichts von Wert beweisen, sondern uns nur bestätigen, dass der Arbeiter körperlich aktiver ist.

Um dieses Problem zu umgehen, teilten wir die chinesischen Studienteilnehmer in fünf Gruppen nach dem jeweiligen Grad ihrer körperlichen Aktivität ein. Nachdem wir die Kalorienaufnahme der am wenigsten aktiven Chinesen- der Entsprechung zu Büroangestellten- herausgefunden hatten, verglichen wir deren Kalorienaufnahme mit der des durchschnittlichen Amerikaners. Was wir entdeckten, war erstaunlich.

Die durchschnittliche Kalorienaufnahme pro Kilogramm des Körpergewichts war 30 Prozent höher unter den am wenigsten aktiven Chinesen als bei den durchschnittlichen Amerikanern. Und trotzdem war ihr BMI um 20 Prozent geringer.

Wie kann es sein, dass sogar der am wenigsten körperlich aktive Chinese mehr Kalorien aufnimmt und dennoch keine Gewichtsprobleme hat? Was ist deren Geheimnis?

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In der Studie hatte sich aber bereits herausgestellt, dass es keine großen genetischen Unterschiede beim Zulegen von Übergewicht gibt. Auch die Chinesen können schnell an Körpergewicht hinzugewinnen, wenn sie ihr gewohntes Ernährungsverhalten verändern und sich der industriellen Ernährung, nach westlichem Vorbild, zuwenden.

Abnehmen, und damit verbunden Gesundheit, ist ganz offensichtlich nicht eine Frage der Energiebilanz. Scheinbar sind die Art und die Qualität der Ernährung der entscheidende Unterschied. In China stellen Gemüse und Hülsenfrüchte und wenig Fleisch die ursprüngliche Ernährungsform.

¹ http://de.wikipedia.org/wiki/Kalorie
² http://de.wikipedia.org/wiki/Physiologischer_Brennwert

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